Die aufmüpfige Bankerin

Interview mit Heidi Geisler

Banken sind keine Blackbox, in der »etwas mit meinem Geld passiert«. Für Heidi Geisler sind sie der Hebel für den Schutz der Umwelt und für den Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft. Die 31-Jährige gründete 2010 gemeinsam mit einer Gruppe von Anlegerinnen und Anlegern »Geld mit Sinn! e.V«., eine nachhaltige, von der UNESCO ausgezeichnete Finanzinitiative. Ihr Ziel: Dass Anleger bewusst entscheiden, was sie mit ihrer Geldanlage fördern wollen — und was nicht. Das folgende Interview mit Heidi Geisler führte Jan Egel, Chefredakteur von „eve“ Magazin.

Frau Geisler, wir schlendern gerade durch das Bankenviertel Frankfurts, mindestens 25 Großbanken um uns herum: Deutsche Bank, Commerzbank, UBS, Bank of China. Spüren Sie die Macht des Geldes?

Die Macht ist deutlich zu spüren. Und vor allem sind viele hoch motivierte und qualifizierte Menschen zu sehen. Wenn all diese Menschen ihre Energie in den Umbau der Banken und den Aufbau eines nachhaltigen Finanzsystems investieren würden, stünde  uns eine rosige Zukunft bevor.

»Leistung aus Leidenschaft« – so wirbt die Deutsche Bank für sich. Oder Leistung, die Leiden schafft? Was werfen Sie den Großbanken vor? 

Zweierlei: zum einen den verantwortungslosen Umgang mit dem Geld ihrer Kunden. Der Profit steht an erster, zweiter und dritter Stelle. Es ist vollkommen egal, in was das Geld investiert wird, ob in Atomenergie, die Herstellung von Streubomben, Nahrungsmittelspekulationen, Unternehmen, welche massiv gegen Menschenrechte verstoßen oder ganze Landstriche für Jahrhunderte verwüsten. Zum anderen werfe ich ihnen die schlechte Beratung vor. Während die Berater darauf gedrillt werden, margenintensive Produkte an den Mann oder die Frau zu bringen, vertrauen ihnen noch viele Kunden wie blind. Der Kunde und dessen Bedarf sollte an erster Stelle stehen – nicht das Erreichen von Vertriebszielen.

Moment, die denken doch gerade um. »Ich möchte so beraten, dass ich meinen Kunden auch nach Jahren noch in die Augen schauen kann.« Das sagen nicht Sie, sondern eine 28-jährige Vera Block, Beraterin Privatkunden, die die Deutsche Bank aktuell auf ihrer Homepage für sich werben lässt. Augenwischerei oder Kurswechsel bei einem Großen?

(schmunzelt) Und darf sie? Ich bezweifle das stark! Wenn Frau Block wirklich unabhängig, bedarfsgerecht und nachhaltig beraten möchte, kann sie sich sehr gerne bei mir melden und ich stelle ihr den Kontakt zu ein paar nachhaltigen Banken her. Ich hoffe sehr, dass ich in ein paar Jahren auf diese Frage anders antworten kann.

Was sind denn die entscheidenden Dinge, die die Banken ihrer Meinung nach sofort ändern müssten, was mittelfristig?

An erster Stelle muss wieder eine ganzheitliche und bedarfsgerechte Beratung des Kunden stehen. Dazu zählt auch, dass der Kunde das Produkt, in das er investiert, versteht, weiß, welche Kosten damit verbunden sind und in welche Bereiche das Geld investiert wird. Zudem sollten alle Banken klare Investitionskriterien definieren, sie konsequent einhalten und veröffentlichen. Beispielsweise: »Wir finanzieren keine Unternehmen, die Streubomben herstellen.« Mittelfristig brauchen wir eine Führungsriege in den Banken, die bei ihren Entscheidungen nicht nur den Gewinn, sondern auch die sozialen, ökologischen und ethischen Auswirkungen berücksichtigt.

Zur aktuellen Euro-/EU-Bankenkrise: Die Rettungskonzepte folgen dem alten Muster – Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Verluste. Bleibt der Steuerzahler der Dumme?

Nicht nur der. Auch der Sparer aus der Mittelschicht mit seinen Sparbüchern und Lebensversicherungen trägt schon heute durch das politisch gedrückte Zinsniveau, das seit einiger Zeit unter der Inflationsrate liegt, seinen Teil zur Rettung bei. Hier findet eine gigantische Umverteilung von den kleinen Leuten zu den richtig wohlhabenden statt.

Jeder fünfte Steuer-Euro ging schon 2010 für Schuldzinsen drauf, rund 38,2 Milliarden Euro. Glauben Sie noch daran, dass der Staat seine Aufgaben zukünftig weiterhin wahrnehmen kann? 

Was genau sind denn die Aufgaben des Staates? Bereits seit den Siebzigern konnte der Staat seine übernommenen Aufgaben nur noch durch eine exzessive Neuverschuldung, also auf Kosten der nächsten Generation, erfüllen. Und solange sich die Regierung immer neue Ausgabenquellen überlegt, beispielsweise Betreuungsgeld, wird die Schuldenlast nicht kleiner. Hier bräuchten wir mal eine Grundsatzdiskussion, welche Aufgaben der Staat zu erfüllen hat, und es wäre sehr wünschenswert, dass Politiker auch an die noch nicht geborenen Wähler denken.

2000 gab es die Internet-/Börsenkrise, 2008 die Bankenkrise, die sich schnell zu einer Weltwirtschaftskrise auswuchs. Jetzt die Euro-Bankenkrise. Eine Krise folgt der anderen 

…Schauen wir mal, wie viele Krisen wir noch brauchen, um wieder zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Geld zu kommen. Hoffen wir, dass es nicht wie in der Energiepolitik mehrerer Kernschmelzen bedarf, um eine Wende einzuleiten.

Sie selbst haben im Börsencrash 2000 Erspartes verloren. Wie fühlt es sich an, den Lohn der Arbeit vernichtet zu sehen?

Es war das Geld, was meine Eltern seit meiner Geburt für meine Ausbildung angespart hatten. Ich erinnere mich vor allem an die Wut auf mich selbst. Ich hatte dem »Berater« blind vertraut.

Nach beruflichen Erfahrungen bei einer renommierten Großbank sowie einer nachhaltigen Bank sind Sie 2010 auf die Anlegerseite gewechselt und haben »Geld mit Sinn« gegründet.

Genau. Mir war klar geworden, dass auch Banken nur das tun, was die Eigentümer und Kunden fordern. Daher ist es wichtig, dass Anleger ihren Einfluss kennen. Durch eine Freundin lernte ich Anfang 2010 die PR-Expertin Birte Pampel kennen. Gemeinsam entwickelten wir dann die Idee, eine Finanzinitiative zu gründen.

Was ist das Ziel des Vereins? 

Die Nachhaltigkeit im Anlegerverhalten, im Beratungsprozess, in den Finanzprodukten und im Finanzsystem zu verankern. Wir möchten Menschen motivieren, zukünftig bei ihrer Geldanlage darauf zu achten, dass diese mit ihren Werten übereinstimmt. Sobald der Kunde bei seiner Anlage genauer hinschaut, die Berater objektiv beraten und es bei allen Banken auch qualitativ hochwertige Produkte gibt, wird das Finanzsystem ein anderes sein.

»Wer spart, verliert« ist die provokante These von Autorin und Geldcoach Nicole Rupp und zugleich Titel ihres klugen Buches. Ticken Frauen in Finanzfragen anders? 

Man sagt Frauen ja oft nach, dass sie emotionaler und weniger rational sind als Männer. Dies ist auch bei der Geldanlage so. Frauen vertrauen mehr auf ihr Gefühl und berücksichtigen die Auswirkungen. Daher sind es sehr häufig Frauen, die sich entschließen, zukünftig ihr Geld bewusst zu investieren. Frauen sind bei der Geldanlage aber häufig auch unsicher, und das, obwohl belegt ist, dass sie in der Investition auch wirtschaftlich erfolgreicher sind als Männer. Vielleicht kein Zufall, dass auch unser Vereinsvorstand rein weiblich ist.

Interview und Fotos: Jan R. Egel/eveQuelle: Magazin »eve«, 6_2012